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Djin

Publiziert von Buchverlag BoD - Books on Demand - im Deutschland November 2015


Auswahl kapitel vom fantasy buch: Djin - Deutschsprachlich.

Vor der äußersten Reihe der windschiefen Bäume, hinter der grasbedeckten Lichtung, wo Felsblöcke verstreut herumlagen, als wären sie die Hinterlassenschaften vom Spiel der Riesen in einer fernen Vorzeit, ragte er aus dem Untergrund und erhob sich wie eine zerfurchte, senkrechte Mauer, deren oberste, ebenholzschwarze Fläche über die Baumspitzen und weiter über die Welt hinter ihnen schaute. Angicore, Duncan Yol und die schweigenden Maruderfechter lagen lang ausgestreckt auf der Erde, versteckt hinter den verkrüppelten Stämmen und starrten dorthin.
Sie starrten auf den vom Regen feucht glänzenden Felsen, hielten den Atem an und lauschten, wissend, daß er es war. Denn dieser Felsen glich nichts anderem auf dieser Welt und versuchte nicht zu verbergen, daß er mit Zauberei geschaffen war. Allein der Anblick dieser massiven,unzerrüttbaren Größe, ließ sie eine Weile in Ehrfurcht erstarren und hielt sie im Versteck, ohne den Mut, sich ihm zu nähern und ihm das abzuverlangen, was er versteckte. Dann ertönte das Heulen durch die Schlucht, breitete sich um jede scharfe Ecke der Felsen und verhallte in der tiefen Stille des Waldes. Antar - der Wolf, der Wächter des Felsens, ließ sie wissen, daß er da war... Duncan Yol robbte auf die Ellenbogen gestützt zu Angicore. Er lehnte sich an den jungen Kaiser und flüsterte, sodaß die Worte kaum hörbar waren:
" Wir können nicht warten, Milord. Keiner kann gegen den Wächter des Felsens kämpfen. Es gibt keine Gnade für den, der den Fels bedroht, in dem Djin wartet."
Angicore erhob sich langsam, nahm einen tiefen Atemzug und schlich sich auf Zehenspitzen heran. Er hatte sich erinnert, was Zarafir gesagt hatte, damals vor langer Zeit, bevor die Diener des Schattens über das Meer gekommen waren, um Dynadan, seine Welt, zu erobern. Nur der, dessen Hand das Kristall hielt, würde leben. Kein anderer könnte sich weder Keram-Bars Werk nähern oder leben, um anderen davon zu erzählen. Er ging vorsichtig weiter über die Hügel mit dem struppigen Gras, die Kristallkugel mit den Fingern umklammernd. Dann entdeckten seine Augen einen Schatten, der sich langsam über den Felsen breitete, über ihn hinwegglitt und stehenblieb. Ein tiefes Knurren breitete sich um ihn aus, ein Knurren so tief wie das letzte Grummeln vom Donner über dem Meer. Er ging zögernd weiter, während das tiefe Knurren zunahm und in ein gedämpftes, drohendes Brummen überging. Er sah sich verstohlen um, versuchte ihn zu entdecken, aber es gab nur den Schatten vor ihm auf dem Felsen. Sein Blick schweifte den Waldrand entlang. Die Gesichter Duncan Yols und der Maruder leuchteten bleich im Schatten der Bäume weit hinter ihm. Er näherte sich. Der Felsen türmte sich über ihm auf und das Ganze wirkte auf einmal unwirklich. Daß das kleine Kristall das Wunder bewirken konnte, das vorausgesagt worden war, und ein Wesen wie Djin aus dem Felsenversteck befreien sollte. Er hob die Hand und umklammerte den Kristall, um ihn nicht zu verlieren. Zweifel nagten an seiner Seele, wie ein Tier, dessen Zähne den Willen aushöhlen, in dem die Entscheidungsfähigkeit liegt, die ihn dazu bringt, einzustürzen und zu verschwinden, nur ein hoffnungsloses Gefühl hinterlassend; das egal, wie man handelt, es grausam ist, der zu sein,der die Verantwortung auf seinen Schultern trägt. Die Augen wuchsen wie zwei mandelförmige Linsen über den Fels. Gelb und stechend wie das Meer aus Feuer auf der gekrümmten Fläche der Sonne. Und unter ihnen schob sich der Kiefer auseinander, fletschte zwei Reihen Zähne, so weiß wie Elfenbein und so lang wie die Säbelklingen der Maruder. Der Wolf Antar wuchs im Felsen, wie ein Spiegelbild hinter einem schwarzglänzenden Fels aus Glas. Dann drängte er aus dem Stein heraus, während der strömende Regen in der Hitze verdampfte, die dieser Zauber verursachte. Sein tiefes Knurren lähmte ihn. Er sprach zu ihm mit der machtvollen Stimme dieses Berges. Er blieb stehen, schwankte, während der Kristall in seiner Hand nagte. Er bemerkte die Schritte hinter sich nicht, bevor er die Hand fühlte, die sich sanft um seine Schulter schloß. Duncan Yol schob ihn vorsichtig weiter. " Es gibt keinen Weg zurück, Milord!" Er hörte die Worte wie ein fernes Flüstern, aber es reichte. Er handelte nach ihnen, ließ sich führen, während der Wille langsam zurückkehrte, und er hob die Hand mit dem Kristall über seinen Kopf. Als der Blick des Wolfes auf den schwarzen Kristall fiel, leuchtete es mit einer Flut von Licht auf. Die Farben fluteten aus ihm heraus, eine Kaskade aus Licht, die die Bäume hinter ihnen lange Schatten werfen und die Berge sich gegenseitig mit abgrundtiefer Dunkelheit bedecken ließ. Aber als er das Licht betrachtete, die weichen, warmen Farben und den Regenbogen, der wie ein leuchtendes Band im Dunst über dem Fluß Mez stand, entdeckten seine Augen den schwarzen Streifen, der auf den Fels zeigte, ein Streifen aus schwarzem Nichts, dunkler als dunkel und kälter als der Schatten, der über der Weissagung von Djin hing. Und wieder lähmten ihn Zweifel und ließen ihn unbeweglich dastehen, gefangen von dem Anblick und der Warnung, die ihm ohne Stimme zurief, während Antar, der Wächter Keram-Bars über den Felsen und Djin, sich durch den schwarzen Stein drängte. Wie eine behaarte Larve, die nach Beute Ausschau hält, noch bevor sie ein Teil dieser Welt ist. Duncan Yol schüttelte ihn an der Schulter. " Werft es, Milord. Es gibt jetzt keinen Weg mehr zurück!" Er sah den Wolf, sah die brennenden Augen wie glühende Kolben aus Glas, angefüllt mit farbigem Rauch, beugte den Arm zurück, und schleuderte den Kristall durch die Nacht. Der Kristall wirbelte durch die Luft. Das Mondlicht spielte in seiner strahlenden, glänzenden Oberfläche. Sie fühlten es, als stünde die Zeit still, in einem letzten Versuch, zu verhindern, daß es geschehen sollte. Aber es geschah. Das Kristall zerbarst wie mit einem Peitschenschlag an dem harten Berg, und gleichzeitig verschwand Antar vor ihren Augen, eine bedrückende Stille hinterlassend, nur unterbrochen vom schwachen Rauschen der Baumkronen entlang der äußersten Grenzen ihres Bewußtseins. Sie standen stumm da, entwaffnet und warteten. Dort, wo der Kristall den härtesten Knochen der Welt getroffen hatte, brannte sich eine Flamme in den Fels, wie ein kleiner weißglühender Fleck. Der Fleck wuchs, breitete sich über dem ebenholzschwarzen Stein aus, schmolz sich in ihn ein und hinterließ einen dampfenden, schlackigen Spalt vor ihren Augen. Die Bäume rauschten nicht mehr, der Wind hatte seine flüsternde Stimme erstickt, nur Regen nieselte unhörbar. Die Welt wartete auf dieses todbringende Wunder. Angicore drehte den Kopf und sah Duncan Yol an seiner Seite stehen. Sein Haar, das durch einen strammen Zopf im Nacken gehalten wurde, klebte im Regen an seinem Kopf. " Ich glaubte, du würdest sterben..." Die Worte waren kaum hörbar. " Das würde geschehen, nach der Sage über Keram-Bar." " Das glaubte ich auch, Milord." Yols Augen brannten ihm in dem glühenden Schein der Spalte entgegen. " Aber ich hatte nichts zu verlieren, denn wäre Antar aus dem Felsen geboren, würde ich trotzdem sterben." Angicore drehte sein Gesicht zum Fels und studierte ihn mit schweigender Ehrfurcht. " Was ist Djin?" flüsterte er dann. " Djin ist das Wesen des Krieges, Milord." Yols Worte erreichten ihn durch den großen, stillen Raum; kalte Worte in einer kalter Stille. " Djin ist die Kraft des Hasses, Milord. Der unbändige Zorn, der die Liebe verwelken läßt und Männer und Frauen zu den Waffen greifen läßt und töten, ohne Reue. Sie werden sich erheben, überall in Dynadan und Ergol und all den anderen Ländern am gekrümmten Horizont des Meeres, Milord. Sie werden sich erheben und kämpfen..."Er ballte vor sich die Fäuste. " Sie werden diese unsere Feinde ins Meer werfen..." Seine Stimme zitterte bewegt über das Großartige seiner eigenen Worte. Er starrte steif auf die Schlackenspalte im Ebenholzfelsen und biß mit einer harten, gnadenlosen Maske die Zähne zusammen. " Warum hast du mich das tun lassen, Duncan?" Der Maruder bemerkte den vorwurfsvollen Unterton in den Worten und drehte ihm das Gesicht zu. " Weil die, die es hinter dem Meer gibt, dasselbe Wesen wie Djin haben, Milord. Und weil ihr der Kaiser seid - dessen Worte mir Gesetz sind!" " Wir waren Freunde, Duncan." " Ich werde immer euer Freund sein, Milord." Die Hand mit dem auftätowierten Klee ruhte immer noch auf Angicores Schulter. Lange betrachteten sie den schwarzen Fels und den Rauch, der langsam durch die schlackige Spalte quoll. Die schwelende Glut warf einen schwachen, roten Schein in die Dunkelheit, aber das war alles. Schließlich drehten sie sich um und gingen zurück in das Versteck hinter den Bäumen, wo die Maruderfechter warteten. Sie lagen schweigend da und behielten den Fels im Auge, ausgestreckt in dem feuchten Gras. Einer von ihnen war auf Jagd im Wald gewesen. Er hatte Beeren und Wurzeln gesammelt und hatte frisches, klares Wasser in einer nahen Quelle gefunden. Sie begannen zu essen und bemerkten, wie hungrig sie in Wirklichkeit waren. Die Angespanntheit auf der Flucht, und der Marsch über die Schlucht hatten sie ihren Hunger vergessen lassen. Nun schluckten sie die rohe und kalte Nahrung mit so einem Eifer, als hätten sie tagelang gehungert. Sie schüttelten sich in der kalten, regennassen Nacht, saßen dicht zusammen, um sich warm zu halten und nahmen die Nahrung ein, ohne zu sprechen. Hinterher saßen sie dicht zusammen, dem dampfenden Zischen des Felsens lauschend, gegenüber, hinter der grasbedeckten Lichtung. Schließlich, ganz unmerklich, schlich sich der Schlaf zu ihnen, und ließ sie steif und frierend sitzen, mit den Köpfen nickend, wie Puppen. Und so schliefen sie, entschwanden dem drohenden Schicksal, das darauf wartete, zu erwachen, schliefen so fest, daß sie nichts hörten... Er bekam Risse, der Felsen. Erst ganz feine Risse, die über die blanke Fläche sprangen, sich in einem geschnörkelten Durcheinander von knisternden und knackenden Geräuschen über sie ausbreiteten. Dann bröckelten Stücke des schwarzen Ebenholzes ins Gras hinunter, gefolgt von scharfkantigen Teilen des harten, schweren Steines. Und dann ertönte ein Krachen wie Donner durch das Tal, weiter die Schlucht hinunter, sagte denen, die die Stimme der Natur zu deuten verstanden, daß er kommen würde, daß es ihn gab...DJIN! Er schwankte aus seiner mächtigen Puppe, ein Riese, mit menschlichen Augen gesehen. Er war nackt vom Scheitel bis zur Sohle. Sein Körper war schwer und muskulös, schwer wie ein Dinosaurier und schwitzte nach dieser unbarmherzigen Geburt. Seine Mutter war der nackte Felsen und sein Herz war wie der ebenholzschwarze Stein, aus dem er geboren worden war. Er richtete sich auf und warf einen forschenden Blick über die Welt. Die Augen waren wie die des Antar- Wolfes, ein phosphorgelber, wallender Rauch in Kolben aus klarem Glas. Er richtete sich auf, schwankte mit dem Rücken im Wind, hob das Gesicht zum Himmel und holte tief Luft. Er ließ den Regen in kalten Strömen über den befreiten Körper rieseln, bemerkte weder die Kälte, noch die Furcht, die ihn umgab. Denn die Welt bebte vor Angst, die Bäume, das Gras und die Erde, auf der er stand. Dann ballte er die Fäuste, und einen Augenblick glichen sie Klauen, deren weiße Knochen im Mondlicht schienen. Und dann laugte er der Umgebung die Kraft aus, die Kraft, die er zum Leben, Wachsen und zum Stärke erlangen brauchte, bevor jemand ihn fand und tötete, noch bevor er festen Fuß auf diesem sturmumheulten Riff gefaßt hatte, wo das Schicksal ihn hatte stranden lassen. Das Gras um ihn herum verwelkte, während das Glühen in den Tiefen seiner Augen stärker wurde. Das Welken breitete sich über der ganzen Lichtung aus, alles wurde grau und staubig mitten im Regen, bis es die Bäume erreichte. Die Bäume kämpften gegen ihn, mit der uralten Weisheit, die ihnen nur die wenigsten zuschreiben. Die gutartigen Nerven des gesamten Waldes wandten sich gegen ihn, aber er raubte ihnen die Kraft, den vordersten Riesen. Sie standen knarrend im Wind, seine Opfer, während sich die Äste zusammenkrümmten und zu trockenen Stielen wurden und die Blätter von den Kronen wirbelten und sich wie eine dicker, dämpfender Teppich auf die Erde legten. Und er saugte die Lebenskraft aus den Menschen, die dort im Schutz der gewaltigen Stämme schliefen. Er bemerkte sie nicht, verschwendete nicht einen Gedanken daran, es kümmerte ihn nicht, warum sie ausgerechnet dort waren, ob sie dagegen oder dafür waren... Er verzehrte gierig das Feuer ihrer Seelen, schluckte die flackernden Flammen ihrer Herzen und ließ sie zurück, wie die Bäume und das Gras; als verbrannte, verwelkte Geister von dem, was sie einmal waren. Einst, vor langer Zeit. Bevor er gekommen war. Dann veränderte sich sein Blick. Er schaute über das Tal mit einem eisenharten Willen, der ihm aus den Augen brannte. Er drehte sich um, tastete sich vor wie ein Blinder, der nach Rufen im Sturm lauschte, suchend... Er fühlte die Kraft, die Kraft, die sich gegen die Welt gewandt hatte, die Kraft, die den Jaranakaiser getötet hatte, die Kraft, für die er geschaffen war, sie auszulöschen. Er bemerkte es nur ganz schwach, ein Hauch einer Feder an der Haut, aber er fühlte sie, wandte sich ihr entgegen und machte sich auf den Weg. Der Fels betrachtete ihn, während er davonwanderte. Betrachtete die verwelkten Bäume und das versengte Gras, den Tod, den er in seiner Spur hinterließ.

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