Das Haus lag oben auf einem Hügel, teilweise versteckt unter
der weichen, weißen Decke des Schnees.
Kein Geräusch war von dort oben zu høren. Nichts, was die
verraten konnte, die dort in ihrer Welt lebten.
Und doch...
Sie suchten an der Fassade entlang, langsam, mißtrauisch - die
kalten, ausdruckslosen Augen. Der Atem dampfte aus den
Nasenlöchern und trieb davon, über die weiße Erde. Rowl
lag halb versteckt hinter einer Schneewehe und hielt Ausschau. Sein
dicker, warmer Pelz schützte ihn vor dem Winter, und er bemerkte
die Kälte nicht.
Ein schwacher Rauch stieg langsam aus dem Schornstein und
schlängelte sich zwischen die Bäume, in sanften,
geschwungenen Spiralen. Er verriet sie.
Rowl hob die Schnauze in die Luft.
Er war immer noch da, obwohl er so schwach war, daß man ihn kaum
eine Spur nennen konnte: Der Geruch von Bal Darin und dem Pferd.
Er hatte recht gehabt, jetzt brauchte er nur zu warten.
Dann drückte er sich in den Schnee hinunter, streckte die Beine
zur Seite weg und ließ den Schwanz unbeweglich liegen. Ein
kurzes, scharfes Geräusch hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Die
Tür ging auf, jemand hatte den Riegel weggeschoben.
Rowl wartete mit starren Augen. Es war eine junge Frau. Sie ging aus
dem Haus, während das erste, schwache Licht der Sonne über
den Himmel und die Wolken streifte und die Dunkelheit verdrängte.
In der Hand trug sie einen Eimer. Sie ging mit anmutigen Bewegungen
durch den Schnee, bis sie eine Paßende Schneewehe fand. Hier
setzte sie den Eimer ab und begann, mit den Händen Schnee in ihn
zu füllen.
Rowl hob den Kopf, schob die Schnauze vor und schnupperte.
Duftspuren füllten seine Gedanken mit Bildern, und langsam
erkannte er es, während er sie betrachtete.
Bal Darins Gefährtin! Der Gedanke war einleuchtend. Jeder
Menschenkrieger, der gefährlich genug war, um Enjal Sorgen zu
bereiten, mußte eine Gefährtin haben. Lautlos spannte er die
Muskeln und erhob sich im Schnee, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Sie saß mit dem Rücken zu ihm und schaufelte Schnee in den
Eimer, während sie eine kleine Melodie vor sich hin summte.
Wäre sie ein Wolf gewesen, hätte sie ihn gehørt.
Selbst der schwächsten Laut von Schnee, der unter seinen Pfoten
zusammengepresst wurde, war entlarvend genug. Aber sie war ein Mensch -
nur ein Mensch, dachte Rowl.
Er schlich auf sie zu, mit einer Erregung, die ihn von der Schnauze bis
zur Schwanzspitze durchrieselte. Und noch bevor sie Verdacht
schøpfte, fletschte er die Lipppen über die weißen,
messerscharfen Zähne und knurrte drohend.
Roja erstarrte mitten in einer Bewegung. Der Schnee rieselte lautlos
durch ihre gespreizten Finger. Dann drehte sie sich um und starrte ihn
wie gelähmt an, mit Angst in den klaren, blauen Augen.
Rowl blieb stehen.
Sein Fell sträubte sich in der Luft, vom Hals bis ganz den
Rücken hinunter. Das bewirkte, daß er grøßer
wirkte, als er wirklich war. Er studierte sie mit leerem Blick. Suchte
nach einem Zeichen von Panik, die sie fühlen mußte - wartete
auf den Schrei, der über ihre Lippen kommen mußte. Aber er
kam nicht.
Sie sah ihn an, sah an ihm vorbei, während sie darum kämpfte,
Ruhe und Selbstbeherrschung zu bewahren.
Rowl krümmte sich zusammen, machte einen Buckel und setzte zum
Sprung an, mit einem Schwanz, der heftig über den Schnee fegte.
Sie sah ihn nicht mehr an. Sie sah auf einen Punkt links hinter ihm,
während sie den Atem anhielt.
Die Hände hielt sie immer noch über dem Eimer, gekrümmt
zu einer kleinen Schale, von der der Schnee heruntergerieselt war.
Gerade als er absetzte - die Kräfte losließ und fühlte,
wie die Muskeln ihn vorwärts durch die Luft zogen - bemerkte er
einen warmen, sengenden Stich in der Brust, genau beim Herzen. Sein
Körper wurde von ihr weggefegt, als der Pfeil sich mit gewaltiger
Kraft durch ihn bohrte, und ihn besinnungslos durch die Schneewehe
rollen ließ. Er versuchte, benebelt auf die Beine zu kommen,
betäubt vom Schmerz und dem Geruch seines eigenen Blutes. Dann lag
er still da, ausgestreckt auf der Seite, während die grauen
Augenlider sich über seine Augen senkten.
Roja erhob sich steif, starrte hinunter auf Rowl und seufzte leise.
Er lag so dicht bei ihr, daß sie ihn hätte berühren
können, wenn sie bloß den Arm zu ihm gestreckt hätte.
Sie faltete die Arme über dem Bauch, schauderte still in der
Kälte und seufzte noch einmal.
Der Fremde kam mit langen, federnden Schritten auf sie zu. Während
er ging, schlug er mit dem Daumen gegen die Sehne des Bogens,
sodaß er im Wind sang - einen reinen, klaren Ton zwischen den
gefrorenen Zweigen. Als er sie erreicht hatte, legte er
beschützend den Arm um sie und drückte sie einen kurzen
Augenblick an sich.
Sie sahen auf den Wolf hinunter, ohne sich zu bewegen, bis der
Jäger sie losließ und einen großen, breiten Dolch aus
einer Scheide am Gürtel hervorzog. Dann beugte er sich über
Rowl, hielt ihn an seinem struppigen Nacken fest und schüttelte
ihn sanft.
Rowl versuchte stumpfsinnig, ihn anzugreifen, aber der Körper
gehorchte ihm nicht mehr.
" Du hättest darauf hören sollen, was sie, diese Enjal,
gesagt hat," sagte der Jäger. " Nun werde ich deinen
Quälereien ein Ende machen." Er streckte die Hand vor und legte
die Klinge an seinen Hals.
Rowl erinnerte sich jetzt.
Enjals Stimme klang in seinem Ohr, wie ein Traum von einem Ort weit weg
hinter den Bergen. " Du sollst ihn nicht anrühren. Er ist der Tod
für dich, mein Bester."
Javer! dachte Rowl und fühlte das Messer, das tötete.